Arbeitsmigration

1955 begann mit dem Abschluss des Anwerbevertrags mit Italien eine Phase, in der Arbeitsmigration gefördert wurde - bis zum Anwerbestopp 1973. Heute sind die Grenzen in Europa gefallen und im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union ist Binnenmobilität zum Normalfall geworden. Die fortschreitende Globalisierung der Märkte rückt heute vielmehr die Frage nach der Zuwanderung in die EU und deren Regelung in den Mittelpunkt.

Die Diskussion um die Green Card in Deutschland hat gezeigt, dass einem Land - ob selbst verschuldet oder nicht, sei einmal dahin gestellt - Arbeitskräfte für bestimmte Bereiche fehlen, obwohl es gleichzeitig Arbeitslosigkeit gibt.

Eine solche Situation gab es in der Geschichte der (alten) Bundesrepublik schon einmal, nämlich Mitte der 1950er Jahre. Das so genannte Wirtschaftswunder kam gerade aus den Startlöchern. In der Montanindustrie - Kohle und Stahl - war die Produktion auf modernster Basis neu angelaufen. In den Ballungszentren begann eine äußerst rege Bautätigkeit. Die zerstörten Städte mussten wieder aufgebaut werden. Plötzlich fiel auf: Auf den Baustellen und in der Landwirtschaft fehlten Arbeitskräfte. Dass die Lage auf den Baustellen so war, leuchtet leicht ein. Und auch der Mangel in der Landwirtschaft lässt sich leicht erklären. Viele verließen die ländlichen Räume, um in der Industrieproduktion besser zu verdienen.

Ende 1955 wurden die ersten Anwerbungen beschlossen. Kurz darauf kamen die ersten italienischen „Gastarbeiter“, wie sie damals genannt wurden, ins Land. Später kamen Arbeitsmigranten aus anderen Ländern, den so genannten Anwerbestaaten, hinzu. Bis 1960 stieg die Zahl auf 329.000 an. Die Grenze von einer Million wurde 1964 überschritten. Bis zum Zeitpunkt des Anwerbestopps im Jahr 1973 waren knapp 2,6 Millionen Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen. Sie arbeiteten längst in allen Industriezweigen, oft auf gering qualifizierten Arbeitsplätzen, die seinerzeit noch in hohem Maße vorhanden waren. Das heißt nun nicht, dass sie über keine Qualifikationen verfügten. Sie hatten oft andere Berufe, für die sie aber nicht nach Deutschland geholt worden wären. Als Witz machte immer wieder die Frage die Runde, wer die größte Bäckerei Deutschlands sei - VW oder Ford. Daneben gab es aber immer auch Arbeitsmigranten mit hohen Qualifikationen, die nach Deutschland kamen und in ihrem Beruf arbeiteten.

Der Schriftsteller Max Frisch hat in Bezug auf die „Gastarbeiter“ den Satz geprägt: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen.“ Was die Arbeitswelt angeht, galten die Neuankömmlinge von Beginn an als Kollegen. Vor der ersten Anwerbung hat der DGB durchgesetzt, dass das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit zu gelten habe und Tarifverträge nicht unterlaufen werden. Das war sowohl für die inländischen Arbeitnehmer wie für die Arbeitsmigranten von Vorteil. Gleichzeitig wurde zunächst eine sehr weit gehende rechtliche Gleichstellung erreicht und 1992 die letzte Benachteiligung, was Rechte im Betrieb angeht, beseitigt.

Aber auch die Gewerkschaften mussten lernen, dass die neuen Kollegen nicht nur im Betrieb waren, sondern am Ort lebten, Ehepartner und Kinder hatten. Integration - nicht nur im Betrieb - wurde zum Thema, dem sie sich zuwenden mussten und zuwendeten. Es waren Menschen gekommen, die - wie sich bald herausstellen sollte - ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden hatten.